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01.03.23 –
Kommt das 49 Euro-Ticket, oder kommt es nicht? Wann kommt es – und für wie lange bleibt es? Und: Komme ich denn dann auch von meinem Dorf zum Bahnhof? Und: Wie oft fährt der Zug? Wie sind die Anschlüsse? Macht dieses Ticket, über das sich die Politiker so sehr streiten, für mich auf dem Land überhaupt Sinn? Damit wären wir beim Grundproblem: Der ganze Streit um das Wie-auch-immer-wie-teuer-Ticket endet bei uns im Thermenland immer beim Ausbau des ÖPNV-Netzes.
Eisenbahn von der Resterampe
Zentrale Lebensader des Nahverkehrs in der Region nördlich des Inns ist die Rottaler Boggalbahn von Passau nach Neumarkt-St.Veit. Diese Strecke gehört zum Mühldorfer Linienstern. Der Betrieb dieses Streckennetzes wurde gerade neu ausgeschrieben. Doch, was da angeboten wird, ist für die Grünen so unannehmbar, dass sie zu diesem Thema eine Pressekonferenz organisiert haben. Ihre zentralen Kritikpunkte: Fahrzeuge aus dem letzten Jahrhundert ohne Barrierefreiheit, Behindertentoiletten, Klimatisierung und WLAN. Touristen und Pendler sollen mit einem Fahrzeugpark von der Resterampe abgespeist werden.
Chancengleichheit fürs Land
Wie passend, dass die niederbayerischen Grünen gerade ihre Liste für die Landtagswahl aufgestellt haben. Aktuell sitzen zwei Niederbayern für die Grünen im Landtag. Einer davon ist Toni Schuberl. Er wurde letztes Mal von den Grünen im Passauer Land nominiert und jetzt für die Wahl im September für den Bayerwald. Da der Trend für die bayerischen Grünen derzeit stabil ist, hat Schuberl gute Chancen auf eine weitere Amtszeit im Landtag. Um langfristig eine Chancengleichheit zwischen den städtischen und ländlichen Regionen zu schaffen, setzt er sich energisch für die Verkehrswende ein und so treibt ihn schon lange eine Verbesserung des ÖPNV im ländlichen Niederbayern um.
Linienplan für Niederbayern
Im vergangenen Jahr ist MdL Schuberls Vision von einer „S-Bahn für Niederbayern“ so konkret geworden, dass er zusammen mit seinem Mitarbeiter Hermann Schoyerer, ehemaligem Vorstand des Vereins Ilztalbahn, bereits einen Linienplan dafür erarbeitet hat.
Das Thermenland Magazin hat also die aktuellen Entwicklungen beim Linienstern Mühldorf zum Anlass genommen, den grünen Landtagsabgeordneten nach seinen Vorstellungen zu einem künftigen Nahverkehrskonzept für Niederbayern zu befragen.
„Wir Niederbayern dürfen uns diese Vernachlässigung nicht weiter gefallen lassen“
Thermenland Magazin: Herr Schuberl, Sie bewohnen einen Hof in Daxstein, einem Dorf am Fuß des Brotjacklriegl. Wie kommen Sie von dort mit dem ÖPNV an ihren Arbeitsplatz im Landtag?
MdL Toni Schuberl: Ich könnte im Nachbarort Schöfweg, nur vier Kilometer entfernt, in den Bus nach Deggendorf einsteigen, dann mit der Waldbahn nach Plattling und mit dem Zug nach München fahren. Der Vorteil wäre, dass das Auto daheim bleiben könnte und dort nutzbar wäre. Die Hinfahrt würde klappen, mit dem Bus komme ich aber nicht mehr nach Hause, weil er nicht mehr so spät zurückfährt. Deshalb muss ich leider mit dem E-Auto 40 Minuten bis Plattling zum Bahnhof fahren, damit ich von dort mit dem Zug nach München komme. Das Auto steht dann in Sitzungswochen häufig vier Tage nutzlos rum und meine Familie braucht deshalb ein Zweitauto.
War es diese Situation, die Sie dazu brachte, sich mit der Verbesserung des ÖPNV im ländlichen Niederbayern zu beschäftigen?
MdL Schuberl: Ich bin gebürtiger Niederbayer, ich kenne die schlechte Bussituation schon immer. Kinder und Jugendliche kommen nicht zu ihren Vereinen oder Freunden oder zu Partys, ohne dass sie von den Eltern gefahren werden. Menschen mit Behinderung oder Senior*innen werden ebenfalls benachteiligt. Nicht einmal die einfachen, regelmäßigen, planbaren Fahrten können mit dem Bus erledigt werden, weil die Lücken zu groß sind. Wir Niederbayern dürfen
uns diese Vernachlässigung nicht weiter gefallen lassen. Schlechter ÖPNV ist kein Naturgesetz, sondern eine politische Entscheidung.
„Eine Mobilitätsgarantie für jede Ortschaft ist zumindest mit Rufbussen möglich“
Dieses Konzept einer S-Bahn-Versorgung Niederbayerns basiert auf dem weitgehend bestehenden Schienennetz. Worin besteht die Herausforderung, dieses Konzept Wirklichkeit werden zu lassen?
MdL Schuberl: Das, was vorhanden ist, muss ausgebaut werden, damit mehr Züge mit dichterer Taktung fahren können. Ein paar Lückenschlüsse müssten auch noch gebaut werden. Der Großteil des Netzes würde aber schon bestehen. Es sind zwar große Investitionen, die aber durchaus stemmbar sind, wenn man sie vergleicht mit unsinnigen und extrem teuren Straßenprojekten wie der B15neu oder der Passauer Nordtangente. Die Herausforderung ist, politische Mehrheiten dafür zu finden, um die falsche Schwerpunktsetzung rein auf Straßen zu beenden und den Schwerpunkt auf Bus und Bahn zu legen. Sobald das mehrheitsfähig ist, ist mein Plan auch zu realisieren.
Ihr nächstgelegener Bahnhof ist heute Deggendorf. Von dort fuhr bis vor 50 Jahren noch die Vorwaldbahn über Hengersberg, Eging, Tittling nach Kalteneck, wo sie Anschluss an die Ilztalbahn von Passau nach Freyung hatte. Sie würden einen Teil dieser Strecke reaktivieren, zum Teil sogar von Hengersberg bis Schöllnach neu trassieren. Damit kämen Sie Ihrem Dorf zwar ein ganzes Stück näher, aber wie sieht Ihr Konzept für den Zubringer-ÖPNV zum angedachten S-Bahn-Netz aus?
MdL Schuberl: Es geht nicht nur um mein Dorf, sondern um Niederbayern insgesamt. Wir brauchen als Rückgrat des Öffentlichen Nahverkehrs ein gut ausgebautes und attraktives Bahnnetz. Dieses muss die langen und zentralen Routen abdecken. Dort, wo es unüberbrückbare Lücken gibt, brauchen wir Express-Buslinien als Alternative. Dazu ergänzend muss das bestehende Busnetz alle Dörfer erschließen und an die größeren Zentren in der Umgebung und unbedingt auch an den nächsten Bahnhof anbinden. Eine Mobilitätsgarantie für jede Ortschaft ist zumindest mit Rufbussen möglich.
„Über Schärding ist die Rottalbahn viel schneller in Passau“
Ein interessantes Detail ist die Anbindung der Rottalbahn nicht mehr an Passau, sondern an Schärding. Da müsste dann ja eine neue Anbindung von Ruhstorf über den Inn errichtet werden. Wo sehen Sie hier Vorteile, die diesen Aufwand rechtfertigen?
MdL Schuberl: Die Rottalbahn zwischen Pocking und Passau ist wichtig, um dieses Gebiet an Passau anzubinden. Leider ist diese Strecke aber auch sehr langsam, so dass die Bahn für die weiter entfernt liegenden Gebiete, wie zum Beispiel das Bäderdreieck, nicht so attraktiv ist. Da lässt sich manches zwar noch auf der Strecke verbessern. Eine besonders deutliche Beschleunigung würde sich aber ergeben, wenn wir von Ruhstorf aus eine kurze Verbindung über den Inn an die sehr schnelle österreichische Bahn schlagen würden. Dann könnten die Fürstenzeller immer noch über die Rottalbahn bequem nach Passau kommen, die Bewohner von Eggenfelden, Pfarrkirchen und des Bäderdreiecks könnten so aber sehr viel schneller nach Passau fahren.
Das sehr langsame, aber landschaftlich reizvolle Teilstück der Rottalbahn von Passau nach Pocking soll bis Bad Füssing verlängert werden. Welche Idee steht hier hinter Ihrer Vision?
MdL Schuberl: Bad Füssing ist aktuell nicht mit der Bahn zu erreichen. Es ist aber ein touristischer Hotspot. Wir müssen erstens das gesamte Bäderdreieck mit Zügen erschließen und zweitens die drei zentralen Attraktionen, Bäderdreieck, Barockstädte Passau und Schärding sowie den Nationalpark miteinander verknüpfen. Das ist mit der kurzen Verlängerung nach Bad Füssing gut zu verwirklichen. Denkbar wäre auch die weitere Verlängerung dieser Strecke nach Simbach.
„Die Züge müssen verlässlich, bequem und günstig sein“
Eine Elektrifizierung der Rottalbahn scheint vorerst nicht umsetzbar. Gerade im südlichen Niederbayern spielt die Wasserstoffproduktion aus Solarstrom eine zunehmende Rolle, weil hier für deutsche Verhältnisse eine hohe Sonneneinstrahlung herrscht. Wie stehen Sie zum Einsatz von Wasserstoffzügen auf der Rottalbahn?
MdL Schuberl: Natürlich ist die Elektrifizierung der Rottalbahn umsetzbar und auch sinnvoll. Sie ist aber politisch von der bayerischen Staatsregierung nicht gewollt, weil diese lieber Geld in Straßenbauprojekte steckt, statt die Bahn voranzubringen. Strombetriebene Züge sind am effizientesten. Als ersten Schritt könnte man Akku-Züge verwenden und in bestimmten Bahnhöfen erste Oberleitungen zum Laden der Akkus bauen. Es gibt keinen Grund, die beste Lösung zu Gunsten der zweitbesten Lösung zu verwerfen. Wir werden in den nächsten Jahrzehnten allein in der Industrie dermaßen große Mengen an Wasserstoff benötigen, dass jede Verwendung in PKWs oder Zügen Verschwendung wertvoller Ressourcen wäre. Lediglich für sehr große Lastwägen, eventuell für Schiffe und als Zwischenschritt zur Erzeugung von im Luftverkehr benötigten E-Fuels wird Wasserstoff im Verkehrsbereich eine Rolle spielen.
Reaktivierungen von ehemaligen, zum Teil schon abgebauten Eisenbahnstrecken ist Teil des von Ihnen angedachten Schienennetzes. Diese Strecken wurden vor allem stillgelegt, weil die Fahrgäste fehlten. Wie wollen Sie die Menschen denn wieder für die Lokalbahn begeistern?
MdL Schuberl: Züge müssen verlässlich, bequem und günstig sein. Wir müssen Bus und Bahn so attraktiv machen, dass sich keine durchschnittliche Familie mehr ein Zweitauto leisten muss. Das ist auch eine zentrale soziale Frage im ländlichen Raum, was man Familien an finanziellen Belastungen zumuten kann. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, gekoppelt mit einem günstigen und einfachen Ticket kann hier eine Antwort sein.
Die neue Broschüre zur Vision „S-Bahn für Niederbayern“ gibt es als PDF-Download unter https://tinyurl.com/TLM-S-Bahn-Vision
Das Interview führte Martin Semmler. Lies dazu auch: "Attraktive Shuttle-Züge statt Uralt-Triebwagen von der Resterampe".
Dieses Interview ist im Thermenland-Magazin (Ausgabe 137, März 2023) erschienen. Wir danken dem Thermenland-Magazin für die Erlaubnis, das Interview auf unserer Website zu veröffentlichen.
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