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04.03.23 –
"Wie sieht es denn bei Euch mit den Energiekosten aus, habt ihr schon Schweißperlen auf der Stirn?", fragt Dirk Wildt, der Vorsitzende der Passauer Landkreis-Grünen, Ende letzten Jahres Landwirt Alois Huber. Wildt lässt an diesem Tag wie in jeder Woche seit acht Jahren knapp 20 Liter Rohmilch an der Zapfstation des Kuhstalls in seine Kanne laufen. Er verteilt sie an vier Haushalte. In der Republik tobt die Diskussion um dramatisch gestiegene Preise für Gas, Strom und Öl, um richtige oder falsche Energiepreisbremsen. Huber lässt sich mit seiner Antwort Zeit. Dann antwortet er mit einem Lächeln. "Wieso lächelst Du?", fragt Wildt überrascht. "Solaranlagen", sagt der Milch-Bauer. Aber. Aber Probleme hätten sie beim Verkauf ihres Käses und Joghurts, die Umsätze seien eingebrochen. Anlass für einen Ortstermin, zu dem Hofkäserei Haindl mit den Grünen und gemeinsam mit dem Bayerischen Bauernverband einladen.
Gut zwei Dutzend Interessierte sind an dem ersten Samstag im März gekommen, darunter ein halbes Dutzend Kinder. Manche von ihnen werden später zum ersten Mal in einem Stall sein, sich von der kratzigen nassen Zunge eines Kalbs über ihre Hand schlecken lassen. Zuvor zeigt Andreas Huber, mit 37 Jahren und seiner Frau Kathi die Junior-Generation auf dem Hof, im Seminarraum einen Film zur Joghurt- und Käseproduktion. Ein stationärer Melkroboter kümmert sich individuell um die Milchkühe. Gläser fahren auf einem Förderband zu einer Abfüllstation, eine Düse drückt den besonders zubereiteten Naturjoghurt hinein, an der nächsten Station wir das Glas mit einem Deckel verschlossen, zum Schluss kommt noch das Etikett drauf. Der Käsekessel mit mehr als zwei Metern Durchmesser ist mit Milch gefüllt, vorbereitet für die Käseproduktion, dickflüssig. Gabi Huber fährt mit einiger Kraft mit einer Käseharfe durch die Masse zu einer Mitarbeiterin, die ihr gegenüber am Kessel steht. Das geht einige Mal hin- und her.
Dann geht es zu den Kühen und Kälbern in den Stall. 85 Milchkühe haben die Hubers, bewirtschaften 75 Hektar Fläche, knapp die Häfte ist Grünland und gut die Hälfte Acker. Vor 30 Jahren seien die Eltern Alois und Gabi auf die Idee gekommen, nicht nur Milch zu produzieren, sondern diese auf dem eigenen Hof zu Joghurt und Käse zu verarbeiten. 28 Liter erzeugt eine Haindlhof-Milchkuh im Schnitt, alle Kühe über 700.000 Liter im Jahr. Das entspricht einer Menge von knapp 30 Milch-Lastwagen. Wenn es gut läuft, bleibt inzwischen die Hälfte der Milch auf dem Hof und wird zu hochwertigem und leckeren Joghurt und Käse weiterverarbeitet. Neben dem am Freitag und Samstag geöffneten Hofladen wird die "Marke" Haindl inzwischen in 65 Lebensmittelmärkten, Gasthäusern, Eiskaffees und anderen Hofläden verkauft – von A wie Aldersbach im Kreis Passau bis W wie Wernstein am Inn in Österreich. Zwei Familien können von den 85 Kühen und der Wertschöpfung aus der Direktvermarktung leben, sagt Andreas Huber, Vater von drei Kindern.
100 Kälber werden im Jahr auf dem Hof geboren, die männlichen nach vier bis sechs Wochen für die Mast auf dem Kälbermarkt verkauft, ein Teil der weiblichen bleibt am Betrieb und wird für die eigene Nachzucht genutzt.
"Was füttert Ihr, wie sieht es mit Genetisch veränderten Futter aus?", will Mia Goller von der Landesarbeitsgemeinschaft der Bayerischen Grünen wissen. "Junges eiweißreiches Gras", antwortet Alois Huber. "Aber wir kaufen auch zu", und er ergänzt stolz, "seit 20 Jahren Gentechnik-frei". Warum nicht gleich Bio, hackt die Grüne nach. Nachhaltigkeit sei immer Thema gewesen, sagt der Senior-Bauer: "Offener Betrieb, wir brauchen kein Glyphosat, aber wir haben den Sprung nicht geschafft."
Josef Hopper, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, betont, bei Bio würden die Erträge "auf die Hälfte" sinken. Goller hält dagegen, es gäbe Bio-Betriebe die würden im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft 90 Prozent schaffen.
Einigkeit besteht grundsätzlich, dass sowohl Bio-Anbau wie regionale Landwirtschaft, also der Direktverkauf, gefördert werden sollten. Im Bezirkstag hätten die Grünen erfolgreich angestoßen, dass "in Einrichtungen des Bezirks der Anteil von Lebensmitteln auf 30 Prozent Bio und 30 Prozent regional steigt", berichtet Mia Goller, die für die Grünen im Bezirkstags sitzt.
Hopper freut sich über die neuesten Entwicklungen von elf Gemeinden im südlichen Teil des Landkreis Passau. Sie haben sich vor gut sechs Jahren unter dem Namen Integrierte Ländliche Entwicklung (ILE) an Rott & Inn zusammen geschlossen und sich Ende letzten Jahres beim Bayerischen Landwirtschaftsministerium als Ökomodell-Region beworben. Unter anderem sollen sowohl Bio-Bauern wie konventionelle Bauern mit Direktvermarktung unterstützt werden.
Diese Unterstützung ist sehr willkommen. In der Folge von Putins Angriffs-Krieg auf die Ukraine sind erst die Energiepreise gestiegen und dann die Inflation. Nicht nur bei Bio-Bauern und Bio-Läden wurden gute Lebensmittel zu Ladenhütern, sondern auch bei Hofläden und bei der Direktvermarktung konventioneller Landwirte. "Zeitweise haben wir etwa beim Joghurt Umsatzeinbrüche von bis zu 50 Prozent gehabt", berichtet Andreas Huber. Aktuell habe sich der Umsatz auf ein gesundes Maß normalisiert, "wir sind jetzt auf dem Vor-Corona-Niveau". Aber auch vor dem Krieg ist es für die Milchbauern nicht einfach gewesen. "Wir haben im Landkreis noch 815 Milchviehhalter, seit 2010 haben knapp die Hälfte der Betriebe diesen Betriebszweig aufgegeben", ergänt Kreisobmann Hopper aus.
Jutta Koller, Kreisrätin und wie Mia Goller Kandidatin für den Landtag bei der Wahl im Oktober, will mehr zum Vertrieb wissen: "Vertreibt Ihr Eure Produkte auf Kommission?" "Nein auf Bestellung, zwei Mal die Woche", die Produkte seien auch nicht bei den großen Lebensmittelketten gelistet, was ein großer Gewinn für sie als Produzenten sei, erläutert Andreas Huber stellvertretend für seine Frau Kathi, die sich um den Vertrieb kümmert.
Der Ortstermin findet bei gutem Wetter statt: zwar ist es klirrend kalt, aber der Himmel ist blau, die Sonne scheint, weit und breit ist keine Wolke zu sehen. Geräuschlos fährt der Haindlhof eine andere Ernte ein: von den Dächern Strom. Die gute Ausstattung mit Solarpanels ist der Grund, warum die Hubers trotz hoher Energiepreise mehr oder weniger gelassen bleiben können. Sein Vater sei 2004 nach Einführung des Erneuerbaren Energien Gesetztes (EEG) einer der ersten gewesen, habe mit einer 30 Kilowatt-Anlage begonnen. Heute produzieren die Solardächer rund 170.000 Kilowatt-Stunden im Jahr, etwa die Hälfte braucht der Betrieb. "Fast alle Betriebe sind in der Bilanz Eigenversorger", weiß Bauernverbandsvertreter Hopper und ermuntert "Industrie und Private, entsprechend nachzuziehen." Wie sei es Anfang der 2000er Jahre zu dem Gesetz gekommen, "war das Schicksal", fragt der Grüne Wildt mit einem Augenzwinkern den Kreisobmann des Bauernverbands. Der antwortet ohne Zögern: "Das geht auf die Grünen zurück." Die Grünen bildeten damals mit der SPD die Bundesregierung.
Obwohl der Haindlhof doppelt soviel Strom produziert, wie er selbst benötigt, drückt der Schuh: Der Hof kann den größten Teil der Energie nicht selbst speichern, er muss ihn ins Netz abgeben – zur Hälfte des Einkaufspreises. Brigitte Steidele, Kreisrätin und dritte Bürgermeisterin von Bad Füssing, schlägt dazu vor, dass es nicht Aufgabe eines einzelnen Betriebs sein sollte, für eine Speicherung zu sorgen, sondern von Kommunen oder organisierten Verbünden. Kreisrat Frederic-Sascha Müller hob die erheblichen Potentiale der sogenannten 'Sektorenkopplung' hervor, denn "wenn wir lernen den selbst erzeugten Strom mit längst vorhandener Technik zusätzlich für Heizung und Mobilität zu nutzen, erhöhen wir unseren Eigenstromanteil erheblich und schaffen es gleichzeitig, dass die Wertschöpfung noch stärker in der Region bleibt. So sorgen wir gleichzeitig für mehr Unabhängigkeit von teuren Energieimporten, schützen das Klima und stärken unsere regionale Wirtschaft."
Sonja Kessler, die wie Steidele für den Bezirkstag bei der Wahl im Oktober kandidiert, spricht das Thema Fachkräftemangel an. "Kein Problem", sagt Andreas Huber, "wir suchen gerade, haben auf unserem facebook-Konto einen Job in der Käserei angeboten und hatten im Nu 10 Bewerberinnen."
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