Bündnis 90/Die Grünen

Landkreis Passau

Wenn Bauchweh zum Alltag gehört

Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung sehen Versorgungslücke - Kreisrätin regt Kompetenzzentrum an

01.09.18 –

Rund 400.000 Menschen in Deutschland leiden unter Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa. Über die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu sprechen, fällt den meisten Betroffenen schwer, auch wenn der Leidensdruck groß ist. Und groß sei auch die Versorgungslücke für Patienten im Raum Passau, beklagt ein Patient aus der Region, der lieber anonym bleiben möchte. Auf Anregung eines Bürgers hat Kreisrätin Halo Saibold (Grüne) nun vorgeschlagen, diese Lücke am Krankenhaus in Vilshofen zu schließen. Doch die Idee steht vor gewaltigen Hürden.

Franz Reischl aus Neukirchen vorm Wald ist Beisitzer im Vorstand der Passauer CED-Selbsthilfegruppe. Als sich die Gruppe vor etwa 25 Jahren formte, suchten hier etwa 30 Patienten Hilfe. Heute sind es doppelt so viele, einige im Rentenalter wie Reischl, andere noch Teenager. Sie treffen sich monatlich im Klinikum Passau und nehmen dafür zum Teil bis zu 50 Kilometer Anfahrt in Kauf – vorausgesetzt sie haben keinen schweren Schub.

"Ich kenne in Passau jede Toilette", sagt Franz Reischl. Das müsse er auch, denn wenn er eine Toilette braucht, könne er oft nicht warten. Deshalb hat er gelernt, seinen Alltag an die Krankheit anzupassen. Der 68-Jährige leidet unter Morbus Crohn, "seit 40 Jahren mindestens", erzählt er. Reischl hat keine Scheu, offen und öffentlich über seine Krankheit zu sprechen. Als die Krankheit bei ihm erstmals auftrat, war der Neukirchner ein junger Mann, spielte Fußball. "Wenn der Verein einen Ausflug gemacht hat, musste ich erst fragen, ob der Bus eine Toilette hat." Geht er ins Theater, bucht er einen Platz am Ausgang. Unternimmt er einen Radlausflug, packt er eine Rolle Toilettenpapier ein, "falls ich mal ins Gebüsch verschwinden muss".

Die Ursache von Morbus Crohn ist bis heute unbekannt; eine Heilung gibt es derzeit nicht. Therapien können aber helfen, Symptome zu lindern und die Häufigkeit der Schübe zu verringern – durch Tabletten, Infusionen, Ernährungsumstellung und und und. "Ein ganzheitlicher Ansatz ist auf jeden Fall sinnvoll", sagt Reischl. Und genau das schlug Halo Saibold in einem Brief an die Geschäftsführung der Kreiskrankenhäuser vor.

Die Kreisrätin regt ein "Darm-Kompetenz-Zentrum" an, das aus ihrer Sicht am Standort Vilshofen eingerichtet werden könnte. "Ein solches Zentrum sollte neben Internisten und anderen Spezialisten aus dem Bereich der Schulmedizin auch Gesundheitsberaterinnen, Ökotrophologen, staatlich anerkannte Heilpraktiker, Homöopathen, Naturheil-Ärzte usw. umfassen", beschreibt sie ihre Idee und beklagt das derzeit sehr lückenhafte Angebot für Betroffene in Niederbayern. Auf PNP-Anfrage gibt ihr Reischl ein Stück weit recht: "Überaus gut bestückt mit Spezialisten sind wir nicht." Anlaufstellen gebe es zwar, aber es könnten mehr sein, räumt er ein, denn "gerade in unserem Fall ist es wichtig, dass der Arzt Zeit für das Patientengespräch hat". Doch das Angebot in der Region aufzustocken, ist leichter gesagt als getan.

Reischl weiß von einem Gastroenterologen in Vilshofen, der für seine Praxis eine zweite Arztstelle beantragt habe. Die Zulassungsstelle habe dies erst in Aussicht gestellt, dann abgelehnt. Der Neukirchner hat inzwischen stellvertretend für die Selbsthilfegruppe einen Brief an die zuständige Stelle geschickt und gebeten, die Entscheidung zu überdenken. Das Ergebnis steht noch aus.

Auch am Kreiskrankenhaus in Vilshofen ist Geschäftsführer Herbert-M. Pichler skeptisch, ob er das Angebot an seinen Häusern wie von Saibold vorgeschlagen erweitern kann. Das Haus in Vilshofen beherbergt bereits eine eine CED-Ambulanz. Aber: "Für die Einrichtung von Zentren gibt es im Allgemeinen sehr hohe Hürden, das wird schwierig", sagt Pichler. Angebote für Darmpatienten gebe es an den Kreiskrankenhäusern allerdings bereits: "Die chirurgische Intervention ist auf sehr hohem Niveau möglich, dabei handelt es sich aber in der Regel um Krebserkrankungen." Internisten bieten Darmspiegelungen an. Die weitere Begleitung der Patienten sei niedergelassenen Ärzten vorbehalten. In diesen Bereich dürfe das Krankenhaus nicht eingreifen, erklärt Pichler.

Das Klinikum Passau erklärt auf PNP-Anfrage: "Für Patienten, die an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden, stehen im stationären Bereich alle Optionen der Behandlung zur Verfügung: Dazu gehören endoskopische Therapiemaßnahmen, Operationen und Antikörper-Therapien. Im gastroenterologischen MVZ des Klinikums können Patienten mit Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa auch ambulant betreut werden."

Trotzdem sagt der eingangs erwähnte anonyme Morbus-Crohn-Patient: "Bei einem schwierigen Krankheitsverlauf kann man sich bei uns in der Region nur durchwurschteln." Spezialisten seien "Mangelware". Früher fuhr er zur Behandlung ans Uniklinikum Regensburg, heute sogar bis nach München. In Großhadern oder im Klinikum rechts der Isar fühle er sich gut aufgehoben. Und das ist wichtig bei einer Krankheit, die Betroffenen das Leben neu diktiert: "Bauchkrämpfe, Durchfälle, Operationen, künstlicher Darmausgang", zählt der Betroffene ebenso aus dem Effeff auf wie Fachbegriffe, Medikamente und Spezialisten. Patienten magerten ab, seien nur noch vermindert leistungsfähig, was zu Problemen in Schule und Beruf führe, sie plagten sich mit existenziellen Sorgen und zögen sich zurück, eine Partnerschaft aufzubauen falle schwer.

"Die Versorgungslücke in der Region gibt es schon lange", sagt der Betroffene. Er sieht sie als Resultat der Gesundheitspolitik im Bund, durch die die Betreuung von chronisch Kranken unrentabel geworden sei. "Es sind nur wenige Ambulanzen geblieben. Entweder Sie gehen zu einem Arzt mit relativ wenig Expertise oder Sie gehen an eine Uniklinik. Die decken alles ab, kriegen mehr Geld, forschen und sind vernetzt." Das sei bei komplexen Erkrankungen wie Morbus Crohn von Vorteil – und umso genauer verfolgt der Betroffene die Diskussion um eine medizinische Fakultät an der Uni Passau.

Die Selbsthilfegruppe trifft sich an jedem ersten Montag im Monat um 19 Uhr im Klinikum Passau auf Ebene 8, Raum 2 im Neubau.

Quelle: Passauer Neue Presse vom 30.08.2018

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Kategorie

Gesundheit

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