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28.04.20 –
Der Mallersdorfer Erhard Grundl sitzt seit 2017 im Bundestag. Der ehemalige Musiker und Vertriebsmanager in der Musikindustrie ist seit 2004 Mitglied bei den Grünen. Im Bundestag ist der 56-Jährige kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er hat sich stark dafür eingesetzt, dass die sogenannten Asozialen und Berufsverbrecher, die die Nationalsozialisten in die Konzentrationslager steckten, als NS-Opfergruppe anerkannt werden. Im Februar stimmten die Regierungsparteien, Grüne, FDP und Linke dem zu. Wir haben uns mit Grundl darüber unterhalten.
"Berufsverbrecher" als NS-Opfergruppen anzuerkennen. Wie kam es zu diesem Engagement?
Erhard Grundl: Als ich gerade in den Bundestag gewählt wurde, gab es eine Initiative von Professor Frank Nonnenmacher von der Goethe-Universität Frankfurt. Da hörte ich erstmals davon und da mich Erinnerungskultur schon immer umtreibt, war ich interessiert. Der Koalitionsvertrag sah ja auch das Vorantreiben der Anerkennung bisher nicht berücksichtigter Opfergruppen vor. Es gab dann die ersten Anträge, die im Februar diesen Jahres dann endlich in die Anerkennung mündeten.
Um wen handelt es sich bei den betroffenen Personen genau?
Grundl: Die sogenannten Asozialen waren generell alle, die nicht konform mit dem NS-Herrschaftssystem waren, das reichte von Obdachlosen, Bettlern, Frauen mit unehelichen Kindern bis hin zu Swing-Kids aus Hamburg, die eine andere Musik hören wollten. Die Bezeichnung hätte viele treffen können. Deshalb ist diese Gruppe schwer zu definieren. Die ins KZ Gesteckten trugen damals einen schwarzen Winkel. Die sogenannten Berufsverbrecher waren Leute, die ihre Haftstrafen abgesessen haben, aber dann direkt ins KZ gesteckt wurden mit der Begründung, Verbrechen sei genetisch bedingt. Der Initiative von Nonnenmacher lag der Satz zugrunde: "Niemand saß zu Recht im KZ." Dem kann ich nur zustimmen.
Deshalb ist auch eine Rehabilitierung von Schwerkriminellen nicht fragwürdig?
Grundl: Darüber wurde viel diskutiert. Aber es saß wirklich niemand zu Recht im KZ. Selbst wenn die Schwerkriminellen dort oft von den NS-Schergen als Funktionshäftlinge gebraucht wurden, waren sie immer auch Opfer. Es gab ja keine Rechtsstaatlichkeit. Die Forschung hat herausgearbeitet, wie vielschichtig die Personengruppe war. Da waren ja nicht nur Schwerverbrecher, sondern auch Kleinkriminelle dabei.
75 Jahre sind jetzt seit Kriegsende vergangen. Warum hat die Anerkennung so lange gedauert?
Grundl: Weil es kontrovers diskutiert wurde. Die Begriffe "Asoziale" und "Berufsverbrecher" haben ja mit dem Nationalsozialismus nicht aufgehört. Das sind negative Konnotierungen bis heute. Widerstände gab es auch bei der Union. Dass sie es schlussendlich anerkannt hat, dass niemand zu Recht im KZ saß und man da kein "Aber" hinterherschicken darf, war ein Sprung, von dem ich nicht ausgegangen bin.
75 Jahre sind seit Kriegsende vergangen. Die letzten Zeitzeugen gehen. Welche Aufgaben sehen Sie für Politik und Gesellschaft, die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte hochhalten zu können?
Grundl: Es macht einen Unterschied, ob ich einen Betroffenen habe, der berichtet, da bin abgeführt worden, das war der Waggon, wo die Menschen abtransportiert wurden, oder ob ich eben keine Zeitzeugen mehr habe. Die authentischen Zeugen waren bislang ganz, ganz wichtig. Ich bin kein Freund von Hologrammen, wo man Personen auftreten lässt, die längst verstorben sind. Das sehe ich als fragwürdig. Da habe ich im europäischen Ausland Beispiele gesehen, die nicht zielführend waren. Die Digitalisierung gibt uns andere Möglichkeiten, auch emotional an die Menschen ranzukommen. Die Gedenkstätten haben das erkannt, ich denke da an Flossenbürg oder Dachau. Da finden ruhige Gespräche mit Schulklassen statt, auch Ältere sind sehr interessiert. Es geht immer um das geschichtliche Wissen, das vermittelt werden muss. Der Verweis auf die Gegenwart ist wichtig. Die Geschichte ist nicht abgeschlossen. Die Singularität des Holocaust ist gegeben. Wir müssen auf die Mechanismen achten und uns der Aufgabe verschreiben, dass es nie wieder zu solchen menschenverachtenden Verhältnissen kommt.
Einerseits gibt es vor allem in den Gedenkstätten gesteigertes Interesse, andererseits gibt es immer noch und auch zunehmend Leute, die dort pöbeln und den NS-Verbrechen relativierend begegnen. Muss man da härter bestrafen?
Grundl: Es überwiegt das gesteigerte Interesse. Mit dem konnte man nicht unbedingt rechnen, vor allem nachdem 75 Jahre vergangen sind. Gerade die junge Generation merkt, dass das Geschehen damals immer was mit uns zu tun hat, das man nicht abstreifen kann. Strafrechtlich relevante Sachen muss man verfolgen. Ich würde aber keine "Lex Gedenkstätte" wollen. Den Pöbeleien kann man begegnen, wenn man das Wissen steigert als Schutz gegen Desinformation. Quellen gegenchecken, Wissen und Kompetenz entwickeln, damit kann man Menschenfeindlichkeit und Rassismus aushebeln.
Im Bundestag und in Länderparlamenten sitzt mit der AfD eine rechtspopulistische Partei, die hinsichtlich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus ambivalent zu sehen ist. Wie beurteilen Sie die AfD diesbezüglich?
Grundl: Die AfD hat zwei Strategien. Bei der Anerkennung der Opfergruppen hat sie sich enthalten. Sie versucht, die bürgerliche Fassade hochzuhalten. Schlimm finde ich, dass sie in den Debatten im Wording die Goebbels-Sprache in den Bundestag trägt. Immer wieder hört man da Begriffe wie "Umvolkung" oder "entartet", die ganz gezielt platziert werden. Das ist gefährlich, weil es den Sprachgebrauch des Unmenschen wieder salonfähig macht. Es gibt nichts Wirkungsmächtigeres als Sprache. Das bürgerliche Mäntelchen hängt man sich nur um.
Quelle: Passauer Neue Presse vom 25.04.2020
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