Bündnis 90/Die Grünen

Landkreis Passau

"Machen und gestalten statt meckern"

Ex-Grünen-Landeschef Eike Hallitzky über den Wandel seiner Partei, ihren Erfolg und Annalena Baerbock

26.04.21 –

Eike Hallitzky hält es für einen guten Zeitpunkt, um sich aus der Politik zurückzuziehen. Nach sieben Jahren schied der 62-Jährige, der im Landkreis Passau lebt, am vergangenen Wochenende aus dem Landesvorstand der bayerischen Grünen aus. Im großen Abschiedsinterview spricht er über den Höhenflug seiner Partei und erklärt, warum es für Deutschland besser ist, dass CSU-Chef Markus Söder nicht Kanzlerkandidat der Union wurde. Für den Ruhestand hat Hallitzky indes schon große Pläne.

Herr Hallitzky, die Grünen sind mit Annalena Baerbock drauf und dran, erstmals ins Berliner Kanzleramt einzuziehen – und ausgerechnet jetzt hören Sie mit Politik auf?
Eike Hallitzky: Wir sind erstmals Herausforderin und haben tatsächlich eine reale Chance, mit Annalena Baerbock ins Kanzleramt einzuziehen. Ich finde, dass genau das für mich ein guter und auch sehr schöner Zeitpunkt ist, aufzuhören. Denn ich bin weder unersetzlich noch unersättlich. Aber natürlich macht es mich ein wenig stolz mitgeholfen zu haben, dass die Grünen jetzt in dieser Situation sind.

"Markus Söder ist ein skrupelloser Machiavellist"

Die Entscheidung der CDU für Armin Laschet und gegen Markus Söder als Kanzlerkandidaten können Sie als Grüner wahrscheinlich nur begrüßen, oder?
Hallitzky: Ich glaube nicht, dass Laschet der einfachere Gegner ist. Man sollte ihn nicht unterschätzen. Aber was unsere Demokratie angeht und den politischen Stil, ist es besser für uns alle, wenn der Wettbewerber ein Typus Laschet ist und nicht ein Typus Söder. Denn was Söder angeht, kann ich alle verstehen, die ihn nicht wollen. Zum einen ist er als genialer Medien-Profi ein Scheinriese. Wenn man bei ihm aber hinter die Fassade blickt, dann ist da nicht mehr viel. Wir müssen doch die Bäume retten, damit er sie umarmen kann. Corona-Politik, um sich selbst ins rechte Licht zu setzen, während in fast keinem anderen Bundesland Übertragungen und Tote so oft zu beklagen sind wie in Bayern. Bei Söder ist schnell der Lack ab. Zudem ist er nach meiner Auffassung ein skrupelloser Machiavellist. Das hat sich bei seinem Umgang mit Horst Seehofer gezeigt, aber auch im Umgang mit wichtigen Themen: Erst in der Flüchtlingskrise den Rechten hinterherdackeln und sich dann über Nacht als größter Kämpfer gegen Rechts darstellen? Das ist nicht glaubwürdig, das hat nichts mit Moral oder Prinzipien zu tun, sondern das lässt sich nur mit Machtwille begründen. Ich kann verstehen, dass viele an der politischen Spitze der CDU Söder nicht wollten. Eine repräsentative, parlamentarische Demokratie kann nicht funktionieren, wenn die einen versuchen, Kompromisse und Ausgleich zu finden, um die Gesellschaft zusammenzuführen – während gleichzeitig andere populistisch und polarisierend unterwegs sind. Genau diese Auseinandersetzung um den richtigen Weg haben wir in den letzten Wochen zwischen CDU und CSU erlebt. Für uns Grüne ist eines aber sonnenklar: Wir werden nicht wegen Laschet oder trotz Söder gewählt – vielmehr bieten wir selbst thematische Orientierung und stellen unseren Gestaltungswillen unter Beweis. Wir wollen für unsere Themen Klimaschutz, eine nachhaltige Wirtschaft und eine faire und gerechte Gesellschaft gewählt werden.

Als Sie zu den Grünen gingen, da wurde während der Debatten noch gestrickt und gestillt. Später wurde dann eifrig um Proporz gerungen, zwischen Männern und Frauen, Realos und Fundis. Was für eine Partei sind die Grünen heute?
Hallitzky: Wir waren damals alle bewegt von den Studien des "Club of Rome", der erstmals die Endlichkeit der Ressourcen und die Grenzen des Wachstums vor Augen führte. Wir dachten, dass wir nur mit hartem Protest etwas bewirken könnten. Dieser harte Protest fand auf der Straße statt, in Form von Demonstrationen, aber auch in den Parlamenten, in Form des Strickens, um so Parlamentsregeln zu brechen. Unsere Inhalte haben sich seither nicht stark geändert – sie sind nur mehr mitten in der Gesellschaft angekommen. Klimaschutz, Artenvielfalt, soziale Gerechtigkeit sind heute bestimmende Themen. Was sich an den Grünen geändert hat, ist ihre Haltung: Unser Protest früher war gegen etwas gerichtet – heute wollen wir gestalten. Wir wollen die Dinge zusammen mit den Menschen besser machen. Erst daraus konnte sich unser Anspruch auf die Kanzlerschaft entwickeln: Machen statt meckern, gestalten statt protestieren.

"Ich bin mit innerer Zufriedenheit abgetreten"

Welche politische Bilanz würden Sie für sich selbst ziehen?
Hallitzky: Mir wurde mal von einem Politikbeobachter bescheinigt, dass ich zwar ein guter Mann, aber alles andere als ein Alphatier sei. Da hatte er wohl sehr Recht. Ich bin Teamplayer, der in der bayerischen Grünen-Führung am wenigsten nach außen sichtbar wurde – weil ich darin auch am wenigsten meine Rolle sah. Was die Grünen in Bayern hingelegt haben, war eine Meisterleistung, bei der jeder in der Spitze von Partei und Fraktion seine Rolle hatte: Außendarstellung, strategische Aufstellung, inhaltliche Entwicklung, Teams formen – das haben wir sauber hinbekommen. Und diese Veränderung der Haltung bei den Grünen, vom Protest zum Gestaltungswillen, das ist tatsächlich von den bayerischen Grünen ausgegangen. Mit den Fraktionschefs Katharina Schulze und Ludwig Hartmann hatten wir bei der letzten Landtagswahl auch die idealen Verwirklicher dieser Idee. Und das ist dann auf die Bundes-Grünen übergeschwappt. Einen bescheidenen Teil dieses Erfolgs darf ich vielleicht auch mir selbst zuschreiben. Ich kann zufrieden sein, die Mitgliederzahlen steigen, die Partei ist geschlossen wie nie, im Bund sind wir auf einem starken Weg. Ich habe meinen Beitrag dazu geleistet, meine Bilanz ist okay. Ich bin mit innerer Zufriedenheit abgetreten.

Wie weit sind die Grünen davon entfernt, auch in Bayern mitzuregieren? Das wäre ja auch Teil der Bilanz…
Hallitzky: Wir haben jedenfalls den Anspruch mitzuregieren. Das Problem mit der CSU ist, dass sie versucht, das Regieren sehr auf sich zu fokussieren – was ihr bei der FDP und den Freien Wähler auch gelungen ist. Ob ihr das auch bei den Grünen gelänge, bezweifle ich. Jedenfalls würden wir niemals einen Wahlkampf machen, bei dem den Grünen nur eine Funktion zukommt, die Rolle des nützlichen Koalitionärs. Wir wollen für unsere Positionen gewählt werden, um unsere Konzepte umzusetzen.

Wie geht es für Sie jetzt persönlich weiter?
Hallitzky: Im Moment besuche ich meine 91-jährige Mutter in Köln. Dann darf man nicht unterschätzen, welchen unendlichen Nachholbedarf es in Keller und Garten gibt, wenn beide Partner über lange Jahre beruflich höchst beansprucht waren. Zudem plane ich, bald zu einer mehrmonatigen großen Fahrradtour aufzubrechen – durch Tschechien und Polen ins Baltikum, weiter bis nach Sankt Petersburg und dann ans Nordkap und zurück über die norwegischen Lofoten. Und wenn all das absolviert ist, dann werde ich vielleicht über das eine oder andere Ehrenamt nachdenken.

Quelle: Passauer Neue Presse vom 23.04.2021
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