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29.12.16 –
Passau. Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament und Mitautor des Buchs "Finanzwende – wir wir den nächsten Crash verhindern können", spricht im Interview nicht nur über die Finanzen in Europa, sondern auch über die Regeln im System: "Viele sind erstaunlich bescheuert."
Das Europaparlament hat Sie zum Berichterstatter für einen Initiativreport für Transparenz, Integrität und Verantwortlichkeit in den EU-Institutionen ernannt. Wie aktuell ist Ihr Thema derzeit?
Sven Giegold: Es ist natürlich hochaktuell. Denn viele Bürger fragen sich, ist das normal, dass jemand wie Manuel Barroso, der zehn Jahre lang Kommissions-Chef war, zwei Jahre später bei Goldman-Sachs im Vorstand ist, oder dass jemand, wie Roland Pofalla, der Kanzleramts-Chef und zuständig war, sich um die Deutsche Bahn im öffentlichen Interesse zu kümmern, nun bei der Deutschen Bahn das x-fache verdient. Wir brauchen stärkere Regeln zur Trennung zwischen Politik und mächtigen privaten Interessen. Das gilt nicht nur in Brüssel, das gilt auch in Berlin und auch in München. Leider blockieren Christdemokraten und Liberale diese Transparenz.
Wie soll das gehen?
Giegold: Ich finde es richtig, dass wir in Brüssel ein Lobby-Transparenz-Register haben, in dem transparent aufgeführt wird, welcher Politiker sich mit welchen professionellen Interessen trifft. Die USA haben zudem den legislativen Fußabdruck. Da wird bei jedem Gesetz dazu geschrieben, mit wem darüber geredet worden ist.
In USA können Interessensvertreter nicht mehr ihren Einfluss geltend machen?
Giegold: Lobbyismus, also professionelle Interessensvertretung, ist ganz normal in einer Demokratie. Aber sie sollte transparent sein, und es gehört Waffengleichheit dazu. Und die ist vielfach verletzt.
Zum Beispiel?
Giegold: Bei Handelsverträgen wie TTIP, wo zu 90 Prozent nur mit Wirtschaftsverbänden und -unternehmen geredet wurde und nur zu zehn Prozent mit Zivilgesellschaften wie Gewerkschaften, Verbraucherschützern. Dann muss man sich nicht wundern, wenn solche Verträge einseitig ausfallen.
Im Buch "Finanzwende" sagen Sie aber auch, dass im "Regulierungseifer der letzten Jahre nicht alles optimal gelaufen ist". Bedeutete so ein Lobbyisten-Verzeichnis nicht mehr Bürokratie?
Giegold: Das sind zwei verschiedene Themen. Ich glaube, dass Menschen wissen wollen, wer hat Einfluss genommen und wer wurde überhört; eine andere Sache ist, dass eine Regel ja nicht automatisch gut ist. Viele Regeln sind erstaunlich bescheuert.
Zum Beispiel?
Giegold: Dass wir nach wie vor erlauben, dass die Deutsche Bank mit nur drei Prozent haftendem Eigenkapital an der Bilanzsumme das gesamte Finanzsystem gefährdet, zudem vielfach kriminell war, aber gleichzeitig der Sparkasse und der Volksbank mit übermäßig vielen Detailvorschriften, die für die Deutsche Bank vielleicht akzeptabel sind, das Leben schwer machen. Darum streite ich auch in Brüssel für einfache und harte Regeln für besondere, also einfache und harte Regeln für kleine, solide Banken.
Untertitel Ihres Buchs ist, "Den nächsten Crash verhindern". Wo sind die Indizien für den nächsten Crash?
Giegold: Derzeit werden 20 Milliarden Euro der Steuerzahler in Italien in Marsch gesetzt, um die dortigen Banken zu retten. Ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass die Wirtschaft in großen Teilen der westlichen Welt nicht richtig läuft. Eine Wirtschaft, die sich nicht entwickelt, neigt dazu, instabil zu werden. Das ist der Grund, warum wir Grüne Druck für ernsthafte Investitionsanstrengungen in Europa machen. Zum Beispiel in Gemeinschaftsprojekte wie Umbau in erneuerbare Energien, ein wirklich europäisches Eisenbahnnetz, "Erasmus" für alle jungen Leute, Breitbandausbau. Das ist der Green New Deal.
Sie fordern mit einem "Europäischen Steuerpakt", gezielt Steuerhinterziehung und internationales Steuerdumping zu bekämpfen, sehr hohe Vermögen zu besteuern und so Investitionen zu finanzieren. Eine gefühlte Wahrheit, oder gibt es Zahlen?
Giegold: Wir wissen zum Beispiel, dass europaweit durch Steuerhinterziehung und Steuerdumping zusammen pro Jahr etwa 1000 Milliarden Euro versanden. Das ist mehr als alle Defizite öffentlicher Haushalte. Wir werden in immer mehr Bereichen erleben, dass der Einzelhandel vor Ort konkurrieren muss mit internationalen Großunternehmen, die übers Internet operieren und ihre Gewinne außer Landes buchen. Das ist nicht akzeptabel.
Die Lösung?
Giegold: Worüber ich mich geärgert habe, wie Herr Söder gegen neue europäische Regeln zu Felde gezogen ist, die versucht haben, Steuerdumping von Großunternehmen einzuschränken. Ich finde, da steht er auf der falschen Seite der Debatte. Manchmal ist ihm der Steuersitz München, Sitz der größten Steuerdumper wie Google, Starbucks, näher als der Buchhandel hier vor Ort.
Inwiefern ist München Steuerdumper?
Giegold: München natürlich nicht. Aber Bayern hat insgesamt die geringste Zahl der Betriebsprüfer bundesweit im Vergleich zur Zahl der Unternehmen. Es ist kein Zufall, dass einige der aggressivsten Unternehmen in dem Bereich ihren Deutschlandsitz in München haben.
Das Interview führte Regina Ehm-Klier
Quelle: Passauer Neue Presse vom 28.12.2016
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Kategorie
Europa | Finanzen | TTIP | Wirtschaft
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