Bündnis 90/Die Grünen

Landkreis Passau

"Die Situation ist unerträglich"

Nach Anfeindung genesener Flüchtlinge in Salzweg: Hallitzky schreibt an Landrat – Keine GU im Landkreis unter Quarantäne

24.05.20 –

Die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch in der Salzweger Gemeinschaftsunterkunft (GU) und den Anfeindungen von inzwischen genesenen Bewohnern (PNP berichtete am Mittwoch) sorgen weiter für Zündstoff. Grünen-Fraktionsvorsitzender Eike Hallitzky fordert in einem offenen Brief die Unterstützung von Landrat Raimund Kneidinger im Bestreben, Flüchtlinge künftig dezentral anstatt in Sammelunterkünften unterzubringen. Der sieht sich für diese Frage, die auf Landesebene entschieden wird, nicht zuständig. Für Aufregung sorgt auch das Verbot für den Helferkreis und andere Besucher, die GU zu betreten. Dies habe nichts mit den jüngsten Vorfällen in Salzweg zu tun, wie die Regierung von Niederbayern klar stellt.

"Die Situation der Geflüchteten in der Salzweger Sammelunterkunft ist unerträglich", schreibt Hallitzky an den Landrat. Das gelte hinsichtlich des Ansteckungsrisikos in Sammelunterkünften, wo "Social Distancing" schlicht nicht möglich sei; "hinsichtlich des Umgangs der Behörden mit den Geflüchteten, nachdem die Regierung von Niederbayern kürzlich verfügt hat, allen Personen den Zugang zu allen Flüchtlingsunterkünften zu verbieten", und für die "jetzt sichtbare Intoleranz einiger Einheimischer in Salzweg gegenüber den genesenen Geflüchteten, für die in unserem weltoffenen Passauer Land kein Platz ist", heißt es in dem Brief. Vor allem, da "die Integration bisher geradezu vorbildlich funktioniert hatte".

Im Namen der Grünen im Kreistag bittet er Kneidinger, sich "jetzt für mehr Toleranz gegenüber Geflüchteten in Salzweg und im ganzen Landkreis" einzusetzen, "die überhaupt nichts dafür können, einem massiv erhöhten Corona-Risiko ausgesetzt zu sein". Zudem fordert er von Kneidinger, sich gegen das Betretungsverbot der Helfer und die Sammel-Unterbringung von Flüchtlingen auszusprechen: Der Mindestabstand sei in Mehrbettzimmern in der Regel nicht möglich, die Ansteckungsgefahr groß, wenn "viele Personen einen gemeinsamen Waschraum nutzen müssen". Die Grünen erwarten "einen Kurswechsel hin zu einer dezentralen Unterbringungspolitik und erweiterten Möglichkeiten der privaten Wohnsitznahme für Geflüchtete".

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Nach der Flüchtlingswelle im September 2015 waren Asylbewerber zunächst sowohl in kleineren, dezentralen Einrichtungen als auch in Gemeinschaftsunterkünften mit bis zu 100 Bewohnern untergebracht. Im Januar 2016 etwa gab es 19 dezentrale Unterkünfte, für die der Landkreis verantwortlich war, und acht Gemeinschaftsunterkünfte, für die die Regierung von Niederbayern zuständig ist. Aus Kostengründen wurden die dezentralen Unterkünfte nach und nach aufgelöst und alle Bewohner in GUs verlegt.

Kneidinger sieht in Hallitzkys Brief "einige Aspekte miteinander vermengt, die nichts miteinander zu tun haben", wie er auf Nachfrage mitteilt. "Das ist für eine sachliche Diskussion nicht förderlich. Im Gegenteil wächst die Gefahr, damit zusätzlich für Unsicherheit zu sorgen." Die Anfeindungen gegen die Flüchtlinge seien "verwerflich und inakzeptabel". "Hier hat das Landratsamt bereits klar Stellung bezogen, dem ist nichts hinzuzufügen. Ich stehe in dieser Frage auch in persönlicher Verbindung mit dem Salzweger Bürgermeister", sagt Kneidinger. "Die Maßnahmen zur Einhaltung der Quarantäne bzw. zur größtmöglichen Sicherheit aller Beteiligter haben mit diesen Vorfällen allerdings nichts zu tun", meint er in Bezug auf das Betretungsverbot, das, wovon er ausgehe, "dem Zweck der Sicherheit dient". Auch in Alten- und Pflegeheimen seien "eine Fülle von weitreichenden Sicherheitsmaßnahmen" verfügt worden, "ich habe keine Hinweise, dass die Hygiene-Regeln und Beschränkungen in einer Sammelunterkunft grundsätzlich unmöglich sind", sagt der Landrat.

Für die Frage, in welcher Form von Unterkünften Flüchtlinge untergebracht werden, sei der Freistaat zuständig. "Die kommunale Ebene bzw. die Landkreise sind hier die falsche Adresse", so Kneidinger. "Asylpolitik wird im Landtag und Bundestag gemacht. Wer dies zur politischen Profilierung auf die kommunale Ebene zu ziehen versucht, tut den Gemeinden und Menschen vor Ort bestimmt keinen Gefallen."

DAS ZUTRITTSVERBOT
Dass die Regierung von Niederbayern im Zusammenhang mit den Vorfällen in Salzweg verfügt haben soll, außenstehenden Personen den Zugang zu Flüchtlingsunterkünften zu verbieten, sei nicht richtig, teilt eine Sprecherin mit. "Bis vor zwei Wochen galt in ganz Bayern noch die allgemeine Ausgangsbeschränkung. Kontaktbeschränkungen gelten bis heute" – auch in Flüchtlingsheimen, wie das Innenministerium "zur Vermeidung eines Infektionsrisikos" am 5. Mai festgelegt habe. Bei Vorlage eines geeigneten Hygienekonzepts allerdings könne auch Personen, die nicht regelmäßig in einer Einrichtung beschäftigt sind, Zutritt gestattet werden.

"Für die GU Salzweg hat der Caritasverband Passau am letzten Freitag ein solches Hygienekonzept vorgelegt, das gerade geprüft wird", teilt die Sprecherin mit. "Die Regierung von Niederbayern hat das Ziel – im Sinne der Bewohner – bei einer positiven Bewertung des Hygienekonzepts entsprechenden Zutritt zu gestatten."

In der GU seien nach der Quarantäne Vorkehrungen getroffen worden: "Räume, die vorübergehend als Quarantänezimmer genutzt wurden, werden durch eine Fachfirma speziell desinfiziert und gereinigt", schreibt die Regierungssprecherin. "Die übrigen Zimmer werden wie bisher von den Bewohnern selbst gereinigt. Hierfür werden Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt."

Der Salzweger Gemeinderat Christian Domes ist seit Jahren in der Flüchtlingshilfe tätig und teilt die Meinung Hallitzkys: "Die Sammel-Unterbringung ist desas-trös." Die Anfeindungen hätten die Bewohner tief getroffen, berichtet er. "Es gibt überall solche und solche Leute, natürlich sind nicht alle Salzweger so. Aber diese Menschen sind wirklich mit den Nerven runter." Vor allem, weil der Ausbruch der Krankheit nichts mit ihrer Herkunft zu tun habe: "Wenn ich 100 Deutsche in ein Haus sperre, passiert das Gleiche. In Altenheimen hatten wir schon dasselbe Problem." Durch das Kontaktverbot beschränke sich die Flüchtlingshilfe derzeit auf Besorgungen, E-Mails und Telefonate. "Wir standen auch mit den anderen Bewohnern in Kontakt, die weg gebracht wurden", sagt Domes. "Medizinisch war die Maßnahme absolut korrekt."

Er überlegt nun, einzeln mit den Bewohnern einkaufen zu gehen, um eingreifen zu können, sollten wieder Anfeindungen kommen. "Etwas Sichereres als Menschen, die das Virus bereits hatten, gibt’s ja gar nicht", sagt Domes.

Quelle: Passauer Neue Presse vom 21.05.2020
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