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02.08.21 –
Es ist ein ganz normaler Vormittag an einem besonderen Tag. Fast zu normal. Halo Saibold steht im Wintergarten ihres Häuschens bei Aldersbach und fegt einige Krümel vom Boden, lässt Kater Zamperl rein, dann Katze Minka raus, ehe sie ihren Besuch zu Tisch bittet, auf dem der Kaffee schon bereitsteht. Saibold wirkt gelassen. Nichts deutet darauf hin, dass sie an diesem Tag den Schlussstrich unter einen Lebensabschnitt ziehen wird – und damit unter eine politische Karriere, die in Niederbayern ihresgleichen sucht. Doch der freiwillige Rücktritt der 77-Jährigen aus dem Kreistag bedeutet nicht, dass sie nicht weiter für eine Welt kämpfen will, die vielleicht keine Chance mehr hat – aber noch immer Hoffnung.
Halo heißt eigentlich Hannelore, aber kaum einer verwendet diesen Namen. "Schon meine Eltern haben mich Halo genannt", verrät Saibold und lacht. "Wahrscheinlich war denen der Name auch zu lang. Mir sind drei Silben auch zu viel."
Saibold trägt ein Oberteil, das fast so bunt ist wie die blühenden Blumen in ihrem Garten. Das passt zu ihr. "Die Welt ist bunt", sagt sie, die Ende der 70er dafür gesorgt hat, dass ein neuer Farbfleck auf der damals politisch tiefschwarzen Landkarte von Niederbayern auftauchte. Auch ihre Gesinnung passt zum Garten: Sie war und ist die Grüne der Region.
Ihr Einsatz für eine andere Lebensweise beginnt mit einer Reise nach Afghanistan 1978. Sie ist damals seit einem Jahr verwitwet und sehnt sich nach der Fremde, nach dem Anderen. Dort, in einem der ärmsten Länder der Welt, habe sie "erst gelernt, wie wenig der Mensch braucht, um glücklich zu sein". Und sie habe erkannt, dass die westliche Welt auf dem Holzweg ist.
Noch im selben Jahr tritt Saibold, die damals noch in München lebt, dem Bund Naturschutz und der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD) bei, der Vorgängerpartei der Grünen. Sie lernt die Naturschutz- und Frauenrechtsaktivistin Petra Kelly kennen, an deren Seite sie 1978 zu einer der Gründermütter der Grünen wird. Und sie zieht nach Aldersbach, wo sie aufgewachsen war.
Seither kämpft sie mit Energie und Sturheit gegen eine Welt, die in einem Paradoxon gefangen scheint: Eine Gesellschaft, die zum einen das Mantra "Geiz ist geil" predigt, zugleich das Geldausgeben und Konsumieren zum höchsten der Gefühle stilisiert und sich dabei die eigene Lebensgrundlage entzieht.
Der Überbringer schlechter Nachrichten macht sich selten Freunde. Das gilt doppelt, wenn er auch noch Vorschläge zur Besserung der Situation macht, und dreifach, wenn dieser Bote kein Mann, sondern eine Frau ist. Das galt Ende der 70er noch mehr als heute. Saibolds Forderungen von damals klingen aktueller denn je: Mehr Achtung vor der Natur, höhere Spritpreise, weniger Flugreisen. Beherzigt haben ihre Warnungen die wenigsten, nicht selten wurde sie belächelt, oft beleidigt. "Ich war immer eine Außenseiterin", sagt Saibold nicht nur über ihre Anfangszeit, sondern ihre gesamte Karriere. Als solche sei sie oft dem Spott und der Herablassung der Etablierten ausgesetzt gewesen. Nur eines habe sie vor Attacken geschützt: "Viele haben mich nicht angegriffen, weil ich verwitwet war." Nach dem Motto: Die arme Frau hat keinen Mann mehr, jetzt hat sie Zeit und macht sich wichtig. Lasst sie halt machen.
Sie machte. Erst als Landtagskandidatin im Stimmkreis Passau-Ost, von 1979 bis 1980 als Landesvorsitzende der Grünen, von 1987 bis 1990 und von 1994 bis 1998 als Bundestagsabgeordnete. Seit 1990 war sie – mit Unterbrechungen − im Kreistag. Wie im Vorbeigehen gründet sie zahlreiche Verbände und Organisationen, wie den ökologischen Anbauverband "Biokreis" und das "Friedensforum" in Vilshofen. Auch gegen den Atomstrom und für Flüchtlinge kämpft sie.
An ihrer erzgrünen Politik ändert auch ihr Parteiaustritt 1999 nichts. Der Grund war der Kosovokrieg beziehungsweise der Auslandseinsatz der Bundeswehr. Dass der damalige Außenminister Joschka Fischer dieses Spiel mitmachte, nimmt Saibold ihm heute noch übel: "Wir waren die Partei des Friedens, totale Pazifisten, und dann das." Einer anderen Partei beizutreten sei für sie aber nie in Frage gekommen: "Wem soll ich mich denn sonst nahe fühlen als den Grünen?"
An diesem ganz normalen besonderen Tag nun kann sie mit Stolz auf das zurückblicken, was sie und ihre Mitstreiter erreicht haben: "Die Grünen haben viel in den Köpfen der Menschen bewegt." Sie hätten das Fundament des jüngsten Erfolgs der Grünen gelegt.
Saibold drückt Annalena Baerbock die Daumen, sie findet, die Zeit ist reif für eine grüne Kanzlerin. Doch der Blick auf die Partei, die sie einst mitgegründet hat, macht ihr auch Sorgen: "Es gibt immer mehr Karrieristen, auch bei den Grünen", sagt sie − und meint damit Menschen, die in die Politik gehen, um persönlichen Erfolg zu haben.
Eine Einstellung, die ihr immer fremd gewesen sei: "Ich habe mich immer bemüht, das, was ich gefordert habe, auch vorzuleben." In der kleinen Garage ihres efeubewachsenen Hauses steht seit Jahren ein kleines E-Auto, ihre Essgewohnheiten beschreibt sie als "praktisch vegetarisch". Beim Gedanken an das Sortiment im Supermarkt tippt sie sich an die Stirn: "Erdbeeren außerhalb der Saison, Quinoa aus Peru – das ist doch totaler Quatsch!"
Sie verspüre keine Genugtuung, wenn sie daran denkt, dass all das, wovor sie jahrzehntelang gewarnt hat, nun eintrete. Nie denke sie sich: "Ich hab‘s euch doch gleich gesagt." Stattdessen wirkt sie traurig, wenn sie über das Weltgeschehen spricht. Der Klimawandel scheint unaufhaltsam, ständige Naturkatastrophen plagen alle Erdteile. Hat diese Erde, diese Menschheit überhaupt noch eine Chance? Ein kurzer Schatten zieht über Saibolds sonst so energische, wache Augen. Sie kann sich kein "Ja" abringen.
Aber auch, wenn die Menschheit vielleicht längst chancenlos gegen die gekränkte Natur ist, sagt Saibold: "Es gibt noch Hoffnung. Eine Alternative zur Hoffnung gibt es nicht." Schließlich sei schon oft in der Geschichte etwas passiert, dass sich vorher niemand vorstellen konnte, etwas, das die Welt plötzlich und nachhaltig verändert hat. Tschernobyl zum Beispiel, "davor hatte keiner gedacht, dass wir mal keinen Salat essen können, weil tausende Kilometer entfernt ein Atomkraftwerk explodiert". Oder der Fall der Berliner Mauer.
Also will sie weiterkämpfen solange es geht, Kreistag hin oder her, um die Chance, die die Welt nicht mehr hat, doch noch zu nutzen. Denn die Erde gehöre nicht uns, sagt Saibold: "Wir haben sie nur von unseren Kindern geborgt."
Quelle: Passauer Neue Presse vom 30.07.2021
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