Menü
28.01.19 –
Am kommenden Donnerstag startet das "Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen!". Die PNP hat sich mit der Biologin und Naturschützerin Dr. Helgard Reichholf-Riehm unterhalten – über das Artensterben und die historische Chance, dieses zu begrenzen.
Frau Dr. Reichholf-Riehm, wie steht’s um die Artenvielfalt bei uns an Inn und Rott?
Dr. Helgard Reichholf-Riehm: Natürlich sind nicht alle Tier- und Pflanzenarten ausreichend gut untersucht. Aber es gibt Hinweise, dass es bei uns genauso abläuft wie überregional. Zum Beispiel liegt eine Untersuchung von Walter Sage über Schmetterlinge an Salzach und Inn von 1995 bis 2017 vor – da ist der starke Rückgang dokumentiert. Das entspricht dem allgemeinen Trend, und der ist dramatisch. Eine weitere Gruppe sind die Vögel, die seit den 1950er Jahren dokumentiert werden, da ist auch ein starker Rückgang zu registrieren. Mich erschreckt, dass es, wenn man über Arten redet, die so selten geworden sind, nur noch um die allerhäufigsten geht. Jetzt redet man über Buchfinken, Kiebitze usw. Keiner hat sich früher vorstellen können, dass man sich um die mal Sorgen machen müsste.
Ist der Rückgang vom Menschen verursacht?
Reichholf-Riehm: Bei den Vögeln nicht unbedingt direkt, der hängt mit den ökologischen Veränderungen in der Natur zusammen. Bei Schmetterlingen sieht das anders aus – da ist der Rückgang eindeutig auf den Einfluss des Menschen zurückzuführen – und zwar auf vielfältige Weise. Das ist aber zugleich das Problem der Sache: Wenn nicht einer allein verantwortlich ist, kann keiner festgenagelt werden. So wird alles relativiert. Nach dem Motto: Schaut erstmal bei den anderen, dann mache ich mit.
Typisch menschlich.
Reichholf-Riehm: Genau, das ist ein ur-uralter Charakterzug. Das gab es schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Thoreau, der Vater der Nationalparks, – er hatte schon die gleichen Probleme wie wir heute: Kompromisse. Man muss immer Kompromisse machen. Und Kompromisse bedeuten immer Verlust für die Natur.
Nun gibt es einen neuen Vorstoß in Sachen Naturschutz – das bayerische Volksbegehren zur Artenvielfalt. Was ist so besonders daran?
Reichholf-Riehm: Das Einzigartige an unserem Volksbegehren ist, dass es sehr viele Bürger gibt, die sich ernsthaft Gedanken machen zu dieser allgemeinen Problematik. Die Politiker relativieren immer. Da gibt’s die Lobbygruppen, und die Politiker gehen nur allzu gern auf sie ein. Aber ein Bürger sieht das viel direkter und er ist unabhängig von Lobbyisten. Und noch nie hatte meines Wissens eine solche Naturschutz-Aktion so viele unterschiedliche Unterstützer – über 100 Verbände, Vereine, Interessengemeinschaften. Darin sehe ich die Chance.
Das Volksbegehren trägt den Titel "Rettet die Bienen". Aber es geht ja eigentlich um viel mehr...
Reichholf-Riehm: Genau, Bienen sind die Werbeträger für die Insekten. Und wenn es den Insekten gut geht, geht’s auch den Pflanzen gut – Stichwort: vernetztes Ökosystem. Die Bienen sind dabei der "Steigbügel" für die anderen. Mit Bienen kann jeder etwas verbinden.
Die Insekten allgemein haben eben keine starke "Lobby".
Reichholf-Riehm: Das Problem ist: Wenn Sie Naturschutz machen, wird punktuell eine bestimmte Art herausgegriffen, zum Beispiel bei uns die Störche. Denen geht es heute deutlich besser. Aber wenn man sich die kleinen Tiere anschaut, dann hat man viel, viel größere Schwierigkeiten. Haben Sie schon mal gehört, dass sich jemand für den nachhaltigen Schutz des Marienkäfers einsetzt? Eine äußerst beliebte Art, hochkarätig bedroht durch die Art des asiatischen Marienkäfers – aber ihn zu schützen, oder Florfliegen oder Wanzen, ist viel schwieriger als Störche. Und deshalb ist die Aktion "Rettet die Bienen" so außerordentlich wichtig. Weil die sich um die kleinen Tiere bemühen, die bisher vernachlässigt wurden.
Der Rückgang bei den Insekten ist dramatisch. Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, das Artensterben aufzuhalten?
Reichholf-Riehm: Es besteht eine Chance, wenn die Maßnahmen, die bei diesem Volksbegehren in Angriff genommen werden, tatsächlich umgesetzt werden. Wir können den Rückgang nicht stoppen, aber begrenzen. In die Karten spielt uns, dass viele Insekten ein hohes Vermehrungspotenzial haben. Aber all das erfordert ein Umdenken, nicht nur in Berlin, auch in Bad Füssing. Sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen, nicht alles abtun und von den "grünen Spinnern" reden. Es hängt wie beim Klima von uns Menschen ab. Und es ist meines Erachtens nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf. Denn die Klimaerwärmung ist nicht mehr aufzuhalten – und der Rückgang der Insekten liegt bei 75 Prozent. Das ist allerdings ein Wert von vor fünf Jahren. Wie es aktuell ausschaut, ob es schon 90 Prozent sind, weiß niemand.
Was kann man vor Ort tun, um das Artensterben aufzuhalten?
Reichholf-Riehm: Wichtig wäre beispielsweise, die Straßenränder entsprechend zu gestalten. Sie glauben nicht, was wir da allein in Bad Füssing für Schwierigkeiten haben. Dort gehen wir das im kommenden Jahr mit 3. Bürgermeister Martin Neun, der am Landratsamt für Umwelt- und Energiefragen zuständig und nebenberuflich Landwirt ist, verstärkt an. Wir hoffen, dass dann die Gemeinde sagt: Ok, das bringt was, das wird jetzt im gesamten Gemeindebereich durchgezogen. So müsste ein Netz quer durchs Land entstehen, in dem sich Insekten und Kleinsäuger wieder ausbreiten können. Positiv ist schon jetzt, wie hier bei uns die Innauen gestaltet werden. Da sieht man, dass was machbar ist.
Viele Leute verknüpfen das Artensterben mit den Landwirten, Stichwort: Glyphosat. Die Bauern fühlen sich angegriffen, gehen in Abwehrhaltung.
Reichholf-Riehm: Zur Verwendung von Glyphosat, zur Verwendung von Neonicotinoiden muss ich ganz klar sagen: nein! Da können die Bauern sagen, was sie wollen. Das verwenden fast alle. Seit Jahrzehnten sind die Lobbyisten der Agrochemie unterwegs auf der ganzen Welt. Was soll da ein Bauer in Aigen dagegen unternehmen? Es wäre daher so wichtig, dass die große Politik einwirkt. Aber was macht die? Sie lässt das Glyphosat wieder zu. Das ist ein Verbrechen! Darüber bin ich sauer – es geht da um die Zukunft. Aber: Es gibt jetzt Gegenbewegungen. Prozesse in den USA gegen Glyphosat. 10000 klagen dagegen, das kostet den Bayer-Konzern Unsummen. Wir können das mit einem Volksbegehren nicht ändern. Aber es arbeitet in die gleiche Richtung. Man muss von unten und von oben agieren.
Neben dem Volksbegehren – was kann jeder Einzelne von uns tun?
Reichholf-Riehm: Schauen Sie sich die Gärten an – kaum Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Tiere. Man kann zum Beispiel eine Vogelhecke einrichten. Oder auch so ein Problem: das Zuschütten der vielen Tümpel. Ich will sagen: Es betrifft uns alle. Der Landwirt ist zwar dominant, weil er die größte Fläche bewirtschaftet. Aber auf jedem Grund, den die anderen besitzen, schaut’s auch nicht viel besser aus. Es gibt also viel zu tun.
Wie sehen Sie die Chancen des Volksbegehrens?
Reichholf-Riehm: Wir brauchen rund eine Million Stimmen – das ist unglaublich viel. Meine Tochter meinte heute zu mir am Telefon: Das schafft ihr locker. Aber ich hab’ ein bissl Angst. Dabei wäre das so wichtig: Wir haben eine historische Chance, den Rückgang der Artenvielfalt zu begrenzen.
Das Interview führte Angela Esterer.
Quelle: Passauer Neue Presse vom 25.01.2019
Wir danken der PNP für die freundliche Genehmigung der kostenlosen Nutzungsrechte auf unserer Website.
Anmerkung: Dr. Reichholf-Riehm ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Passau-Land
Diese Website ist gemacht mit TYPO3 GRÜNE, einem kostenlosen TYPO3-Template für alle Gliederungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
TYPO3 und sein Logo sind Marken der TYPO3 Association.