Bündnis 90/Die Grünen

Landkreis Passau

Krieg ist nicht nur Geschichte

19.11.23 –

Anlässlich des Volkstrauertags hielt Grünen-Mitglied, Gemeinderätin und dritte Bürgermeisterin in Bad Füssing, Brigitte Steidele, anlässlich des Volkstrauertags 2023 in Aigen (Gemeinde Bad Füssing) eine Rede, die wir im Wortlaut hier weitergeben.

Ein Volk trauert, die Völker trauern, sie trauern heute um alle Menschen, die Opfer von Gewalt und Krieg geworden sind. Um Söhne und Töchter, Väter und Mütter, Großeltern, Brüder und Schwestern - Menschen die liebten und geliebt wurden. Damit wir an diese Opfer erinnern und damit Verantwortung übernehmen für ein menschenwürdiges Miteinander, dafürwurde der Volkstrauertag eingeführt.

Allein im Ersten Weltkrieg waren weltweit 9,4 Millionen beteiligte Soldaten gefallen. Ganze Jahrgänge hatte der Krieg ausgelöscht. Etwa 17 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Trotzdem wieder - der Zweite Weltkrieg. Der deutsche Angriff auf Polen 1939 bildete den Auftakt zum sinnlosen Tod von weltweit mehr als 50 Millionen Menschen. Das Ergebnis von Nationalsozialismus, Diktatur und Völkermord.

All die Namen auf den Kriegerdenkmälern und Kriegsgräbern und all die unbekannten Soldaten sämtlicher Länder - meist junge Männer, die einst sangen und tanzten, die täglich zur Arbeit oder sogar noch in die Schule gingen, die studierten oder die Tiere am Hof versorgten -  sie wurden mitten aus ihrem hoffnungsvollen jungen Leben gerissen auf der ganzen Welt.

Denn der Krieg hat sie eingeholt, die Front, der Hunger, die Schmerzen, tote Kameraden, die Verstümmelungen, das Töten, Explosionen, die Schreie, Krankheiten, die Gräber,  das Giftgas, Gefangenschaft, Arbeitslager. Ausdrücke des Grauens. Ja, denn Krieg ist Elend, ist Gewalt, ist dreckig, brutal, blutig und macht an den Grenzen des Schlachtfeldes nicht halt. Unvorstellbar viele Zivilisten fielen den beiden Weltkriegen zum Opfer, man denke an die Bombardierungen Berlins, Londons und Hiroshima, die überfüllten Luftschutzkeller mit verängstigten,schreienden Kindern, vergewaltigte Frauen und Mädchen, Hunger, Not, Flucht und Vertreibung als logische Folge des Krieges.

Nicht allein der Krieg sorgte in diesen dunklen Zeiten für das Massensterben. Rund 6 Millionen europäische Juden, Sinti und Roma, Behinderte und Kranke, Homosexuelle, politische Gefangene, unbescholtene Menschen, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten passten, wurden systematisch verfolgt, in Konzentrationslagern und Gefängnissen gnadenlos gefoltert und hingerichtet im Namen der rassistischen, antisemitischen und menschenfeindlichen nationalsozialistischen Ideologie. 

Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder ermordet. Das Grauen des Nationalsozialismus, Diktatur und Völkermord von Hitler und seinen Kollaborateuren legte sich wie ein schwarzer Schleier über Europa, ja über die ganze Welt.

Mein Vater hatte Glück. 1929 geboren, war er noch zu jung, um in den Kriegsdienst eingezogen zu werden. Anderswo in Deutschland schickte man noch Kinder in die Bürgerwehr, ich habe ein historisches Bild vor Augen, bei dem Hitler zwölfjährigen Jungen noch über die Wange streicht und sie zur Verteidigung des Großdeutschen Reiches entlässt, immer noch träumend vom Endsieg. Kinder, geopfert im Wissen, dass dieser Angriffs- und Vernichtungskrieg schon längst verloren war und die Alliierten bereits viele Teile Deutschlands und Europas befreit hatten.

Auch unsere Gemeinde ist nicht verschont geblieben. Die Namen am Kriegerdenkmal - hier in Aigen sind nicht nur Namen, sie sind Söhne und Väter unserer Gemeinde. Allesamt Familiennamen, die man kennt, allesamt junge Männer aus ihren Familien gerissen. Manche Namen kommen gar mehrmals vor. Es ist unvorstellbar, wie groß die Trauer in allen diesen Familien gewesen sein muss.

Doch Krieg ist nicht nur Geschichte, sondern leidvolle Gegenwart. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Krieg in Israel und Gaza, auch in Syrien und Jemen sind die militärischen Auseinandersetzungen noch nicht beendet, insgesamt gibt es weltweit mehr als hundert bewaffnetete Konflikte mit allen schrecklichen Folgen für die Zivilbevölkerung.

Nach UNHCR Angaben sind 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. 19 Millionen mehr als noch Ende 2021. 40 Prozent aller Flüchtenden sind Kinder, 70 Prozent leben in den jeweiligen Nachbarländern. Alle drei Minuten werden mehr als eine Person durch bewaffnete Konflikte getötet.

Die Säbelrasser sind auch unter uns. Wo Menschen in sozialen Medien gegen Geflüchtete hetzen, wo der Politiker Walter Lübke von Neonazis ermordet wurde, wo Synagogen angegriffen werden, wo Extremisten Anschläge auf unschuldige Menschen verüben, wo eine Partei mit Hass und Hetze die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt, wo eine NSU jahrelang ausländische Mitbürger ermordet, wo Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion verfolgt werden, wo sogenannte Reichsbürger einen bewaffneten Umsturz in Deutschland planen. Da sind liberale Demokratien in Gefahr - wo aus hetzerischen Worten grausame Taten werden.

Wir gedenken heute allen Opfern von Krieg und Gewalt, egal welcher Nationalität und Religion. Es ist die gesellschaftliche Pflicht von uns allen gemeinsam die demokratischen Werte Deutschlands zu schützen. Integration, Innovation und Friedensschutz sind Grundwerte und Ziele der Europäischen Union.

Und ich möchte die 102-jährige Margot Friedländer zitieren, die als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat: „Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut, nur menschliches.“

Kriege entstehen nicht über Nacht. Wir müssen aus der Geschichte lernen, wir tragen die Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft. Mit Worten und Taten. Einstehen für Frieden, Freiheit und Demokratie.

Die Kriegsgräber und Gedenkstätten mahnen uns zu Verständigung und Versöhnung. In Ehrfurcht und zum Gedenken vor der Opfern der beiden Weltkriege und allen Leidtragenden von Gewaltherrschaft und Krieg lege ich diesen Kranz nieder. Ihr Leiden und Sterben ist unsere Verpflichtung, Gewalt und Intoleranz entschlossen zu begegnen, für eine Zukunft ohne Hass, Krieg und Leid.

Kategorie

Geschichte

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